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Die Geburt eines Kindes ist oft mit großen Erwartungen verbunden – Freude, Liebe, ein neuer Lebensabschnitt. Doch was, wenn dieser Moment nicht nur überwältigend, sondern überfordernd war? Wenn statt Glückserfüllung Angst, Ohnmacht oder tiefe Erschöpfung zurückbleiben? Geburtstraumata sind in unserer Gesellschaft noch immer ein blinder Fleck – obwohl sie viele Menschen betreffen.

Geburtstrauma – was ist das eigentlich?

Geburtstraumata zählen zu den sogenannten Schocktraumata. Das bedeutet: Es handelt sich um ein einmaliges, überwältigendes Erlebnis, das das Nervensystem in einen Zustand von Übererregung, Erstarrung oder innerem Rückzug versetzen kann. Während viele Menschen ein Trauma mit Unfällen oder Gewalterfahrungen verbinden, wird die Geburt als traumatisches Ereignis häufig nicht wahrgenommen – gerade weil sie gesellschaftlich so stark mit positiven Bildern verknüpft ist.

Doch auch eine medizinisch „normale“ oder komplikationsarme Geburt kann im Nervensystem als übergriffig oder bedrohlich erlebt werden – insbesondere dann, wenn Kontrollverlust, Ohnmacht oder mangelnde Begleitung eine Rolle spielen. Aus traumasensibler Sicht gilt: Entscheidend ist nicht, was passiert ist, sondern wie es erlebt wurde.

Wie häufig ist ein Geburtstrauma?

Eine umfassende Meta-Analyse aus der medizinischen Datenbank PubMed (2022), die über 154 Studien mit mehr als 54.000 Frauen zusammenfasst, zeigt:

  • 4,7 % der Frauen entwickeln nach der Geburt eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).

  • 12,3 % zeigen deutliche posttraumatische Stresssymptome (PTSS), ohne alle Kriterien einer PTBS zu erfüllen.

Diese Prozentsätze wirken auf den ersten Blick vielleicht niedrig – doch in absoluten Zahlen ergibt sich ein anderes Bild:

Allein in Deutschland wurden im Jahr 2023 rund 693.000 Kinder geboren.
Rechnet man die Studienergebnisse darauf um, bedeutet das:

  • Etwa 32.571 Frauen entwickeln nach der Geburt eine voll ausgeprägte PTBS.

  • Weitere 85.239 Frauen zeigen belastende PTSS.

Insgesamt betrifft dies also rund 117.810 Frauen jährlich – allein in Deutschland.

Auch Väter oder Co-Gebärende können betroffen sein. Studien zeigen:

  • Etwa 1,2 % der Väter entwickeln eine PTBS → rund 8.316 Männer jährlich

  • 1,3 % zeigen PTSS → rund 9.009 Männer jährlich

Zusammen ergibt das über 17.000 Väter pro Jahr, die nach der Geburt ihres Kindes unter Trauma-Symptomen leiden.

Diese Zahlen machen deutlich: Geburtstrauma ist kein Randphänomen – sondern ein gesellschaftlich relevantes Thema, das nicht länger unsichtbar bleiben darf.

Auch Väter können betroffen sein

Neben der seelischen Belastung erleben viele Väter ebenfalls körperliche und hormonelle Veränderungen im Wochenbett. Studien deuten darauf hin, dass sinkende Testosteronwerte und steigendes Oxytocin und Cortisol ihre emotionale Verletzlichkeit erhöhen können – ähnlich wie bei Müttern. Auch bei Vätern kann sich eine postpartale Depression entwickeln – oft in Verbindung mit einem miterlebten Geburtstrauma.

Mögliche Anzeichen eines Geburtstraumas

Ein Geburtstrauma kann sich auf vielfältige Weise äußern. Häufige Anzeichen sind:

  • Flashbacks, Albträume oder intrusive Erinnerungen

  • Übermäßige Wachsamkeit oder innere Unruhe

  • Abspaltung, Taubheit oder emotionale Erschöpfung

  • Gefühle von Schuld oder Versagen

  • Schwierigkeiten in der Bindung zum Kind

  • Rückzug aus sozialen Kontakten

  • Angst vor weiteren Schwangerschaften oder medizinischen Eingriffen

Oft treten diese Symptome erst mit zeitlicher Verzögerung auf – etwa wenn der akute Stress des Wochenbetts nachlässt oder bestimmte Alltagssituationen das Trauma reaktivieren.

Warum Geburtstraumata häufig unerkannt bleiben

Viele Menschen – insbesondere Frauen – bekommen nach der Geburt wenig Raum, über das zu sprechen, was innerlich wirklich passiert ist. Aussagen wie „Hauptsache, das Kind ist gesund“ oder „So schlimm war das doch nicht“ können retraumatisierend wirken und verhindern, dass sich die Betroffenen ernst genommen fühlen.

Ein weiterer Grund, warum Geburtserfahrungen als traumatisch erlebt werden, liegt in bestimmten medizinischen Eingriffen, die ohne ausreichende Aufklärung oder Einwilligung durchgeführt werden. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Kristeller-Handgriff – dabei wird starker Druck auf den Bauch der Gebärenden ausgeübt, um die Geburt zu beschleunigen.

Diese Technik ist medizinisch umstritten und wird unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht empfohlen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) weist auf Risiken hin. Viele Frauen berichten, dass sie den Kristeller-Handgriff als übergriffig, schmerzhaft oder entwürdigend erlebt haben – was in der Folge ein Geburtstrauma auslösen oder verstärken kann.

Traumasensibel zu begleiten bedeutet daher: Zuzuhören, ohne zu bewerten. Und dem Nervensystem zu vertrauen – denn es hat mit seinen Reaktionen versucht, zu überleben.

Traumasensible Methoden – behutsame Wege zur Heilung

Die Verarbeitung von Schocktraumata, wie sie beispielsweise durch belastende Geburtserfahrungen entstehen können, erfordert besondere Achtsamkeit und Sorgfalt. Traumasensible Methoden bieten hier einen sicheren und effektiven Rahmen, um das Nervensystem zu unterstützen und Heilung zu ermöglichen.

Zu den bewährten Ansätzen zählen unter anderem:

  • Traumasensibles Coaching nach Verena König: Dieser Ansatz basiert auf der Neurosystemischen Integration und verbindet neurobiologische Erkenntnisse mit systemischer Therapie. Er fördert die Selbstregulation und unterstützt dabei, traumatische Erfahrungen behutsam zu integrieren.

  • SAI (Somatische Achtsamkeits-Integration) von Dami Schaaf: SAI legt den Fokus auf die achtsame Wahrnehmung körperlicher Empfindungen und unterstützt dadurch die Verarbeitung von Trauma auf somatischer Ebene.

  • Somatic Experiencing (SE) nach Peter Levine: SE ist ein körperorientierter Ansatz, der darauf abzielt, die im Nervensystem gebundene Überlebensenergie zu lösen und die natürliche Selbstregulation wiederherzustellen.

  • Traumasensible Hypnose-Therapie: In dieser von mir entwickelten Methode wird bewusst auf die Arbeit mit inneren Bildern oder intensiven Emotionen verzichtet, da diese schnell retraumatisierend wirken können. Stattdessen liegt der Fokus auf speziellen Techniken, die dem Körper und dem Nervensystem helfen, Schocktraumata zu verarbeiten und das System wieder in einen Zustand der Sicherheit und Selbstregulation zu führen.

Im Gegensatz dazu sind kathartische Methoden wie die sogenannte auflösende Hypnose oder bestimmte Formen des Breathwork, die auf intensive emotionale Durchbrüche abzielen, bei Schocktraumata weniger geeignet. Diese Techniken können das Nervensystem überfordern und die traumatischen Erfahrungen ungewollt reaktivieren.

Die Wahl einer traumasensiblen Methode, die auf Achtsamkeit, Körperwahrnehmung und die schrittweise Integration traumatischer Erfahrungen setzt, ist daher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Heilung.

Fazit: Geburtstrauma braucht Sichtbarkeit

Geburtstraumata sind real. Sie betreffen nicht nur Mütter, sondern auch Väter und andere geburtserlebende Personen. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache – doch was noch mehr zählt, ist das persönliche Erleben. Wer sich nach der Geburt fremd, überfordert oder innerlich verletzt fühlt, hat gute Gründe dafür.

Traumasensibles Wissen schafft Raum dafür, dass auch schwere Anfänge einen heilsamen Verlauf nehmen können. Mit Mitgefühl, mit Begleitung – und mit der Erlaubnis, der eigenen Geschichte zu glauben.

Kleiner rechtlicher Hinweis: Die Inhalte dieses Textes verstehen sich als Anregung zur Selbstreflexion und Selbsterfahrung. Die vorgestellten Methoden ersetzen keine medizinische oder therapeutische Behandlung. Es wird kein Heilversprechen gegeben.

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