Transgenerationale Traumata – Wie Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden
Transgenerationale Traumata sind ein faszinierendes und gleichzeitig erschreckendes Phänomen, das sich mit der Weitergabe von Trauma-Erfahrungen über Generationen hinweg beschäftigt. Es geht darum zu verstehen, wie die Erfahrungen von Eltern und Großeltern das Leben nachfolgender Generationen beeinflussen können – oft ohne dass sich die Betroffenen dessen bewusst sind.
Was sind transgenerationale Traumata?
Der Begriff „transgenerationales Trauma“ stammt nicht aus der klassischen Psychopathologie und stellt keine Diagnose dar. Vielmehr handelt es sich um ein real beobachtbares Phänomen, das zeigt, wie tiefgreifende traumatische Erfahrungen über die Generationen weitergegeben werden können. Die Mechanismen dahinter sind komplex und lassen sich im Wesentlichen auf drei Übertragungswege zurückführen:
1. Schwangerschaft und die Verbindung zwischen Mutter und Kind
Traumata können bereits während der Schwangerschaft übertragen werden. Wenn die Mutter in dieser Zeit eine traumatische Erfahrung macht, beispielsweise einen Verlust erleidet, kann der Fötus den Stress und die Trauer miterleben. Dies kann dazu führen, dass das Kind später eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Verlustsituationen entwickelt, ohne zu wissen, dass dies auf pränatale Erfahrungen zurückzuführen ist.
2. Epigenetik – Das Gedächtnis der Zellen
Die Wissenschaft hat festgestellt, dass traumatische Erfahrungen in unseren Genen epigenetisch verankert werden können. Das bedeutet, dass die Zellen die Stresssignale speichern und an die nächste Generation weitergeben können. Ein Beispiel sind Kinder von Kriegstraumatisierten, die eine erhöhte Anfälligkeit für Stress und Angst zeigen – selbst wenn sie selbst nie Krieg erlebt haben.
3. Ungelöste Traumata in der Familie
Innerhalb der Familie können Traumata unbewusst weitergegeben werden. Besonders Bindungstraumata spielen hier eine Rolle. Wenn Eltern ihre eigenen traumatischen Erfahrungen nicht verarbeitet haben, kann dies zu Verhaltensmustern führen, die das Kind belasten. Ein Beispiel ist ein Vater, der aufgrund eigener Traumata impulsiv reagiert und dadurch beim Kind ein Muster der Unterordnung und Bedürfnisunterdrückung hervorruft.
Fallbeispiel aus meiner Praxis: "Julia" und die Angst vor dem Verlassenwerden
Vor einiger Zeit kam eine Klientin zu mir in die Praxis, nennen wir sie Julia. Julia, eine junge Frau Mitte 30, suchte therapeutische Unterstützung, weil sie in ihren Beziehungen immer wieder unter intensiven Verlustängsten litt. Sobald sie eine enge Bindung zu jemandem aufbaute, erlebte sie starke Unsicherheiten und hatte das Gefühl, ständig um die Beziehung kämpfen zu müssen.
In der traumasensitiven Hypnosearbeit gingen wir behutsam an die zugrunde liegenden Muster heran. In einer tiefen Entspannungsphase konnten wir gemeinsam erkunden, welche frühen Erfahrungen diese intensive Angst geprägt haben könnten. Dabei tauchten Bilder von Julias Mutter auf, die während der Schwangerschaft einen schweren Verlust erlitt – Julias Vater verließ die Familie noch vor der Geburt. Dieser Schmerz und die tiefe Trauer prägten die Mutter nachhaltig und waren emotional für Julia bereits im Mutterleib spürbar.
Im Verlauf der Hypnosearbeit konnten wir nicht nur die emotionale Ladung aus dieser Zeit würdigen und sanft entlasten, sondern auch eine stärkende innere Ressource aktivieren: Julia visualisierte einen sicheren inneren Ort, an dem sie selbstbestimmt und frei entscheiden konnte, wie viel Nähe und Distanz sie in Beziehungen zulassen möchte.
Darüber hinaus stellte sich im therapeutischen Prozess heraus, dass auch Julias Großmutter während des Krieges Verlassensängste erlebt hatte, als sie ihre Familie verlor. Diese epigenetisch verankerten Ängste wirkten in Julias Mutter nach und wurden in abgewandelter Form an Julia weitergegeben. Durch die traumasensible Hypnosearbeit konnte Julia ein neues Bewusstsein für diese generationsübergreifenden Muster entwickeln und gleichzeitig innere Stärke und Selbstsicherheit aufbauen.
Diese Erfahrung hat Julia geholfen, die Muster ihrer Verlustangst besser zu verstehen und Schritt für Schritt neue Verhaltensweisen in ihren Beziehungen zu etablieren – getragen von einem Gefühl innerer Sicherheit.
Schweigen und Loyalität in Familiensystemen
Viele Familien neigen dazu, über traumatische Erfahrungen zu schweigen. Dieses Schweigen kann den Kindern das Gefühl vermitteln, selbst die Ursache für die Spannungen zu sein. Daraus entstehen oft Schuldgefühle und die Tendenz, über belastende Themen nicht zu sprechen – ein Kreislauf, der die Weitergabe von Traumata verstärkt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sogenannte „dysfunktionale Loyalität“. Diese kann sich darin äußern, dass Kinder das Leiden ihrer Eltern nicht übertreffen wollen – sei es in Form von beruflichem Erfolg oder persönlichem Glück. Ein Beispiel ist die Tochter einer beruflich eingeschränkten Mutter, die sich unbewusst ebenfalls beruflich limitiert, um der mütterlichen Erfahrung treu zu bleiben.
Überlebensschuld und kollektive Traumata
Manchmal geht das Phänomen der Überlebensschuld über die individuelle Ebene hinaus und betrifft ganze Generationen. Besonders Nachkommen von Überlebenden großer Katastrophen – wie etwa des Holocaust – können das Gefühl entwickeln, das Leid ihrer Vorfahren ehren zu müssen, indem sie selbst Einschränkungen in Kauf nehmen.
Fazit: Verantwortung und Chancen im Umgang mit transgenerationalen Traumata
Transgenerationale Traumata sind eine ernstzunehmende Realität, die sich nicht nur auf der psychischen, sondern auch auf der biologischen Ebene zeigt. Das Bewusstsein über diese Mechanismen kann jedoch helfen, bewusste Entscheidungen zu treffen und heilende Erfahrungen zu fördern. Der Schlüssel liegt darin, das Schweigen zu brechen, Traumata zu erkennen und achtsam mit den eigenen Mustern umzugehen.
Wenn Du mehr über die therapeutische Aufarbeitung von transgenerationalen Traumata erfahren möchtest oder Unterstützung im Prozess suchst, stehe ich Dir gerne zur Seite.
Kontakt
Christian Zinner
Praxis für Hypnose & Hypnosetherapie
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